Dr.-Ing. Michael Frisch
Lehrstuhl für Trainings- und BewegungswissenschaftKönnen technische Innovationen uns allen zu neuen Bestleistungen im Laufsport verhelfen?
„Schneller, höher, weiter“ – das ist seit jeher die Maxime der Olympischen Spiele der Neuzeit.
Die Geschichte des Sports zeigt, dass sich unterschiedlichste Versuche zur Steigerung der menschlichen Leistungsfähigkeit lange Zeit darauf konzentriert haben, die körperlichen Eigenschaften und Funktionen entsprechend der Anforderungen der jeweiligen sportlichen Disziplin zu verbessern.
Heutzutage tragen trainingswissenschaftliche Untersuchungen, biomechanische Analysen mit Sensoren und spezieller Software sowie nicht zuletzt eine ernährungsphysiologische Betreuung der Athlet:innen dazu bei, dass immer wieder sportliche Rekorde übertroffen werden.
Dieser Trend zur Optimierung des Körpers hat aber nicht selten auch eine Schattenseite: verbotene Medikationen, die nicht nur ethisch unverantwortlich sind, sondern auf Dauer auch der Gesundheit schaden.
Um Sportler:innen dennoch zu ermöglichen schneller rennen, höher und weiter springen oder laufen zu können, gibt es seit geraumer Zeit verschiedene wissenschaftlich-technische Ansätze, die auf eine Optimierung der eingesetzten Sportgeräte und Kleidungsstücke abzielen.
Aber auch diese Entwicklung wird mittlerweile kontrovers diskutiert und nicht selten fällt dabei der Ausdruck „technologisches Doping“.
Ein sicherlich vielen bekanntes Beispiel sind die seit 2010 verbotenen Schwimmanzüge, die nach dem bionischen Vorbild der schuppigen Haihaut entwickelt wurden.
Hierdurch konnten nämlich der Auftrieb im Wasser, der Wasserwiderstand und die Kompressionswirkung auf die Muskulatur deutlich verbessert werden. Es ist somit nicht verwunderlich, dass in den Jahren 2008 bis 2010 rund 130 nationale und internationale Schwimmrekorde aufgestellt wurden.
Der Schwimmverband setzte dieser Rekordserie mit dem Verbot solcher Anzüge ein Ende – hatten doch einige Schwimmverbände schnell mit ausgewählten Herstellerfirmen exklusive Ausrüstungsverträge geschlossen, während andere Unternehmen mit dem rapiden technologischen Wandel nicht mithalten konnten.
„Technologisches Doping“ im Laufsport
Die damals im Schwimmsport heiß geführten Diskussionen erreichten natürlich auch schnell den Laufsport.
Ließe sich der lang-ersehnte Traum erfüllen, einen Männer-Marathon in weniger als zwei Stunden zu schaffen, so würden die Sponsorenherzen höher schlagen und es gäbe neue finanzielle Anreize für Athlet:innen und Sportveranstalter.
Der kenianische Marathonläufer Eliud Kipchoge, der 2018 in Berlin den zu der Zeit gültigen Weltrekord mit einer Laufzeit von knapp über zwei Stunden aufstellte, verglich diese Vision mit dem Traum von der Mondlandung: Ein scheinbar unerreichbares Ziel ist zum Greifen nah, aber dennoch (noch) fern.
In den letzten zehn Jahren haben Unternehmen und Partner aus der Sportwissenschaft mit wachsender Intensität besonders an der Optimierung der Laufschuhe gearbeitet.
Ein Laufschuh besteht in der Regel aus einem Obermaterial, einem Schnürsystem, einer Zwischensohle und einer Außensohle. Insbesondere im Bereich der Zwischensohle hat man in jüngster Zeit sehr viel mit neuen Ideen und Entwicklungen experimentiert.
Dabei waren die Meinungen innerhalb der Sportwissenschaften zunächst geteilt: Während die Einen eine Zwischensohle für eine bessere Dämpfung favorisierten, verfolgten die Anderen den Ansatz einer gestärkten Fußmuskulatur um den natürlichen Abrollmechanismus beizubehalten.
Unternehmen wie Adidas und Puma hatten jedoch erkannt, dass eine Sohle mit erhöhter Energierückgabe (dem sogenannten Rebound-Effekt) die Leistungsfähigkeit verbessern kann. Spezielle Schaumstoffe sorgen dafür, dass ein Großteil der kinetischen Aufprallenergie an den Läufer zurückgegeben wird, so dass beim Laufen weniger Kraft erforderlich ist.
Diese Innovation führte dazu, dass der Kenianer Dennis Kimetto 2014 in Berlin den damaligen Weltrekord im Männer-Marathon um 26 Sekunden unterbieten konnte.
Bei Adidas ist diese Dämpfungstechnologie seit 2013 als „Boost“ im breiten Einsatz und bei Wettkampfschuhen bis zum Sneaker vielen Läufern bereits ein Begriff.
Aktuelle Forschungsansätze zur weiteren Leistungssteigerung durch den Laufschuh
Je schneller Läufer:innen auf einer bestimmten Streckenlänge sind, desto höher ist in der Regel ihre körperliche Leistung.
Leistungssteigerungen hängen stark davon ab, dass es im Körper auf zellulärer Ebene zu einer effizienten Umwandlung chemischer Energie in mechanische Energie kommt.
Technische Innovationen, die die sogenannte Laufökonomie, also die Energieverbrauchsrate beim Laufen bei einer Belastung knapp unterhalb der Leistungsgrenze, erhöhen können, befassen sich mit:
- der Steifigkeit des Laufschuhs um die Energierückgabe zu erhöhen und
- dem Gewicht des Laufschuhs um den Energieverbrauch zu vermindern.
Sportmedizinische Untersuchungen haben beispielsweise gezeigt, dass eine Erhöhung der longitudinalen Biegesteifigkeiten (LBS) eines Laufschuhs zu einer reduzierten Sauerstoffaufnahme und somit einem verringerten Stoffwechselumsatz führt – was die Leistungsfähigkeit positiv verändert. (1)
Erste Untersuchungen mit dem Ziel, die LBS durch Zwischensohlen aus neuartigen Faserverbundkunststoffen mit Kohlenstofffasern (ein häufig „Carbon“ genanntes Material aus der modernen Luft- und Raumfahrt und dem Rennsport) zu erhöhen, fanden bereits 2006 in einer Zusammenarbeit mit Adidas statt. (2)
Obwohl eine Leistungssteigerung beobachtet werden konnte, wurde dieser Ansatz zunächst nicht weiterverfolgt.
Erst im Jahr 2018 wurde das Thema einer leichten und dennoch sehr steifen Laufschuhsohle von Nike aufgegriffen. Das Besondere des resultierenden Schuhs „Nike Vaporfly 4%“ war die Kombination einer solchen Sohlenplatte mit einem Schaumstoff, der die Energie wieder zurückgeben kann.
Diese technische Innovation führte bei Probanden zu einem um 4 % erhöhten Energieumsatz.
Geht die technologische Entwicklung noch weiter?
Die derzeit zehn schnellsten Laufzeiten im Männer-Marathon wurden mit Schuhen der gerade beschriebenen Technologie erzielt.
Bei den World Athletics Half Marathon Championships, die 2020 in Gdynia stattfanden, liefen bereits 108 von 117 Teilnehmern mit Schuhen, die Carbonelemente und einen innovativen Schaustoff kombinierten.
Nahezu jeder Hersteller arbeitet heute mit Hochdruck an der Weiterentwicklung dieser Kombination. Ein Beispiel kommt von Adidas: Hier werden anstelle der Carbonplatte stabförmige Elemente, sogenannte „EnergyRods“ in den Schuh eingearbeitet, die dem Mittelfuß nachempfunden sind.
Eignung solcher High Tech-Lösungen für den Breitensport
So verlockend der Einsatz solcher High-Tech Sportgeräte grundsätzlich für jeden Sportler und jede Sportlerin sein mag:
Es gilt zu berücksichtigen, dass die Gefahr von Ermüdungsbrüchen, Arthrose und Muskelverletzungen steigt, wenn weniger gut trainierte Breitensportler:innen mit Hilfe solcher neuen technologischen Entwicklungen versuchen, möglichst rasch das Niveau von Leistungssportler:innen zu erreichen.
Hier sollte man Geduld wahren und sich nach und nach an den Schuh gewöhnen.
Bei einem Trainingsumfang von 2-3 Einheiten pro Woche ist es ratsam, den „Carbonschuh“ nur bei einer einzigen Trainingseinheit zu tragen. Auf dem Weg zum Wettkampf kann dann die Dosis erhöht werden.
Es ist auch ratsam, häufig die „normalen“ Trainingsschuhe zu nutzen weil Laufschuhe mit Carbonelemente und ihrem speziellen Schaum meist nur für den Wettkampf und somit einer relativ kurzen Lebensdauer ausgelegt sind.
Eigene Beiträge und weiterführende Informationen
Unser Institut für Sportwissenschaft der Universität Bayreuth trägt zur Entwicklung und Bewertung innovativer Laufschuhe in Kooperation mit namhaften Herstellern bei. Ein Team aus der Abteilung Exercise Physiology and Metabolism und dem Lehrstuhl für Trainings- und Bewegungswissenschaften untersucht z. B. die Unterschiede in der Laufökonomie bei männlichen Breiten- und Leistungssportlern beim Einsatz neuer Laufschuhe.
An der Universität Bayreuth ist eine neue interdisziplinäre Abteilung Sporttechnologie angesiedelt, die einen ganz neuen Master-Studiengang auf diesem Gebiet koordiniert. Hier gibt es vertiefende Informationen zum Studium der Sporttechnologie an der Universität Bayreuth.
Weiterführende Informationen zu den erwähnten Materialen wie den Schaumstoffen und den Faserverbundkunststoffen gibt es hier auf den Seiten des Lehrstuhls für Polymere Werkstoffe. Aktuelle Forschungsthemen dort umfassen die Entwicklung neuer Werkstoffe und dazu passender Fertigungsverfahren für vielfältige Anwendungen wie den hier beschriebenen Laufschuhen.
Haben wir dein Interesse geweckt oder hast du Fragen?
Weiterführende Informationen zu unserer Arbeit am Lehrstuhl für Trainings- und Bewegungswissenschaften der Universität Bayreuth findest du auf unseren Internetseiten.
Übrigens, Bayreuth ist Partnerhochschule des Spitzensports.
Das bedeutet, dass hervorragende Athlet:innen ihr Studium an der Universität Bayreuth flexibel gestalten können um den Anforderungen des Spitzensports gerecht zu werden.
Wir freuen uns über deinen Besuch auf unseren Seiten!
Mit freundlicher Genehmigung von „Spektrum“, dem Wissenschaftsmagazin der Universität Bayreuth.
Quellen:
(1) K. Oh, S. Park: An optimal bending stiffness of running shoes to improve running efficiency. Footwear Science (2017), 9 (sup1), 139-141. DOI: 10.1080/19424280.20171314383
D. J. Stefanyshyn, J. W. Wannop: The influence of forefoot bending stiffness of footwear on athletic injury and performance. Footwear Science (2016), 8 (2), 51-63. DOI: 10.1080/19424280.2016.1144652
(2) J.-P. R. Roy, D. J. Stefanyshyn: Shoe midsole longitudinal bending stiffness and running economy, joint energy, and EMG. Med. & Sci. Sports & Exerc. (2006), 38 (3), 562-569. DOI: 10.1249/01.mss.0000193562.22001.e8