
Mathias Etteldorf
Physiotherapeut und Schmerzspezialist (MSc)Stress und Schmerz – Ein unzertrennliches Duo?
Was versteht man unter Stress?
Stress ist die körperliche und emotionale Reaktion auf eine Herausforderung oder Bedrohung. Dabei unterscheidet man zwischen akutem Stress, der kurzfristig auftritt (z.B. bei einem Unfall), und chronischem Stress, der über Wochen, Monate oder Jahre bestehen kann.
Während akuter Stress die Leistung kurzfristig steigern kann, führt chronischer Stress häufig zu gesundheitlichen Problemen. Schmerzen gehören dabei zu den häufigsten Beschwerden.
Doch warum ist das so?
Wie Stress Schmerzen beeinflusst
Viele Menschen wissen, dass Stress zu Verspannungen führen kann – ein steifer Nacken oder Rückenschmerzen nach einem hektischen Tag sind keine Seltenheit. Doch dahinter steckt mehr: Stress aktiviert das zentrale Nervensystem und setzt Stresshormone wie Cortisol und Adrenalin frei.
Diese Hormone halten den Körper in Alarmbereitschaft – Muskeln spannen sich an, die Atmung wird beschleunigt und das Herz schlägt schneller. Evolutionär gesehen war das sinnvoll, um in Gefahrensituationen schnell zu reagieren.
Bleibt diese Alarmbereitschaft jedoch über einen längeren Zeitraum bestehen, kann sich dies negativ auf den Körper auswirken. Eine Verstärkung bzw. das Anhalten von Schmerzen, Erschöpfung und ein Gefühl des Ausgebrannt seins können die Folge sein.
Der neurobiologische Mechanismus hinter Stress und Schmerzen
Wie Stress das zentrale Nervensystem beeinflusst
Stress aktiviert das sympathische Nervensystem, das den Körper auf „Kampf oder Flucht“ vorbereitet.
Diese Aktivierung hat unmittelbare Auswirkungen auf die Schmerzverarbeitung: Das Gehirn bewertet Reize intensiver, selbst harmlose Signale können als Schmerz interpretiert werden, dass der Körper in einem dauerhaften Zustand der Alarmbereitschaft ist. Selbst leichter Druck oder Bewegungen, die normalerweise nicht weh tun, wie das Bücken nach vorne oder das Heben von leichten Gewichten können Schmerzen auslösen.
Ein weiteres Problem: Cortisol kann die körpereigenen Schmerzhemmungsmechanismen herabsetzen. Dadurch bleibt der Schmerz nicht nur länger bestehen, sondern wird auch intensiver wahrgenommen.
Die Schmerzmatrix und Stress
Stress kann die neuronalen Verbindungen zwischen diesen Gehirnarealen stärken, sodass Schmerzen auch ohne akute Verletzung erneut auftreten. Das führt dazu, dass Menschen bei Stressschüben alte Schmerzsymptome verspüren, obwohl die ursprüngliche Verletzung längst abgeheilt ist.
Vielleicht haben Sie das schon selbst erlebt. Sie stehen unter Druck, weil Sie auf der Arbeit bestimmte Tätigkeiten bis zu einem bestimmten Datum erledigen müssen. Auf einmal merken Sie wieder Schmerzen im Nackenbereich oder eine alte Verletzung im Schulterbereich, die Sie seit Jahren nicht gespürt haben.
Eine mögliche Erklärung hierfür ist der akute Stress, durch den diese Schmerzen wieder „aufflackern“.
Schmerzverstärkung durch chronischen Stress
Wie Dauerstress Schmerzen verstärkt
Chronischer Stress führt dazu, dass das Nervensystem ständig in Alarmbereitschaft ist. Dadurch werden Schmerzreize intensiver weitergeleitet bzw. die zentrale Hemmung nimmt ab und Schmerzen werden langsamer abgebaut.
Besonders problematisch: Der Körper verlernt, zwischen Schmerzen auf Grund einer akuten Verletzung und Schmerzen, die durch harmlose Reize verursacht werden zu unterscheiden.
Praxisbeispiel: Wenn Schmerzen nicht verschwinden
Ein typisches Bild in der Praxis: Patientinnen und Patienten klagen über langanhaltende Rückenschmerzen. Sie erhalten ein Eigenübungsprogramm und manualtherapeutische Behandlungen. Die physiotherapeutische Behandlung schlägt jedoch nur teilweise an. Die Patientinnen und Patienten berichten, dass ihre Schmerzen für ein paar Tage oder Stunden nach den Behandlungen gelindert sind, dann jedoch wieder in der vorherigen Intensität zurückkommen.
Häufig zeigt sich bei genauem Nachfragen, dass beruflicher oder privater Dauerstress die Schmerzsituation aufrechterhält. Erst wenn Stressbewältigungsstrategien integriert werden und der Dauerstress abnimmt, verbessert sich die Schmerzsymptomatik deutlich.
Man kann sich das in etwa so vorstellen, dass der Körper durch den Dauerstress ständig am Limit arbeitet und nicht die benötigten Ressourcen hat, um sich mit den Schmerzen auseinanderzusetzen und diese zu überwinden. Erst wenn die Stressreize abnehmen, kann der Körper seine volle Aufmerksamkeit den Schmerzen und dem Heilungsprozess widmen, wodurch eine dauerhafte Verbesserung erzielt werden kann.
Die Rolle der vegetativen Übererregung
Im chronischen Stressmodus ist das vegetative Nervensystem dauerhaft aktiv. Das führt dazu, dass man sich in einem dauerhaften Zustand der Angespanntheit befindet.
Dies zeigt sich zum Beispiel darin, dass man empfindlicher als sonst ist oder auch kleine Probleme können uns in dieser Situation sehr belastend für uns sein. Doch auch auf körperlicher Ebene zeigen sich Veränderungen. Muskelverspannungen und ein erhöhter Muskeltonus am Körper können die Folge sein. Gerade in Bereichen wie Nacken und unterem Rücken können dadurch vermehrt Schmerzen auftreten.
Langfristig kann der Körper einen Zustand der Überempfindlichkeit annehmen, bei dem selbst kleinste Belastungen schon heftige Schmerzen auslösen. Leichter Druck auf der Haut im schmerzhaften Gebiet oder eine normalerweise nicht schmerzhafte Bewegung können zu Schmerzen führen.
Warum Stress den Heilungsprozess blockiert
Heilung und Stress – ein Widerspruch?
Während akuter Stress kurzfristig die Durchblutung fördern kann, hemmt chronischer Stress die Heilungsprozesse. Ein gewisses Maß an Stress ist gut für die Wundheilung, da im Körper notwendige Heilungsprozesse dadurch in Gang kommen.
Jedoch ist genauso wie die richtige Dosis an Stress auch genug Zeit für Pausen notwendig. Nur wenn der Körper auch ausreichend Pausen bekommt, kann die Regeneration gut voranschreiten.
Dieser Zusammenhang ist auch wissenschaftlich untersucht. Studien zeigen, dass Menschen mit hoher Stressbelastung länger brauchen, um von Verletzungen oder Operationen zu genesen.
Die psychosomatische Verstärkung
Negative Gedanken und Sorgen über Schmerzen können die Ausschüttung von Stresshormonen weiter ankurbeln. Die Folge: Eine Abwärtsspirale, in der Schmerzen, Anspannung und Stress sich gegenseitig verstärken.
Das haben Sie vielleicht schon bei sich selbst bemerkt. Wenn Sie gerade niedergeschlagen sind oder ängstlich, nehmen Sie Schmerzen stärker wahr oder Aktivitäten, die für Sie normalerweise nicht mit Schmerzen verbunden sind, tun Ihnen auf einmal weh.
Fallen Ihnen vielleicht Aktivitäten ein, die Sie ungern tun, weil sie mit Schmerzen verbunden sind? Falls ja, spüren Sie vielleicht bei sich ein unangenehmes Gefühl, denn allein der Gedanke an diese Aktivtäten, kann zur Ausschüttung von Stresshormonen führen.
Wege aus der Stress-Schmerz-Spirale
Ganzheitliche Strategien zur Stressbewältigung:
• Atemtechniken:
Vielleicht haben Sie schon mal gemerkt, wenn Sie beim Zahnarzt sind, und es steht Ihnen eine unangenehme Behandlung bevor, verändert sich möglicherweise auch Ihre Atmung. Sie atmen flacher, schneller und möglicherweise baut sich auch ein Druckgefühl auf Ihrer Brust auf.
Die tiefe Bauchatmung kann Ihnen in einer solchen Situation helfen, um Ihr Nervensystem zu beruhigen und Ihre Ängste vor möglichen Schmerzen zu reduzieren.
• Achtsamkeit und Meditation:
Wann haben Sie das letzte Mal einen Spaziergang im Wald gemacht und bewusst das Zwitschern der Vögel, den Geruch der Bäume oder den weichen Waldboden unter sich wahrgenommen?
Achtsamkeitsübungen wie die eben beschriebenen können ein sehr effektives Mittel sein, um die Ausschüttung von Stresshormonen zu reduzieren.
• Gezielte Bewegung:
Ein gezieltes Training ist wichtig, um schwache Muskeln zu kräftigen und Muskelverspannungen zu lösen. Außerdem kann gezielte Bewegung dazu führen, dass Sie besser entspannen können.
• Schmerz Pro:
Hierbei handelt es sich um ein Behandlungskonzept, welches die klassische Physiotherapie mit Stressmanagement kombiniert, damit Sie ein möglichst gutes und langanhaltendes Therapieresultat erzielen können.
Der Schlüssel: Die Schmerzmatrix überschreiben und das Nervensystem beruhigen
Wie oben beschrieben kann sich bei anhaltenden Schmerzen eine Schmerzmatrix bilden und Ihr Nervensystem in einen Zustand der Überempfindlichkeit kommen.
Die gute Nachricht ist, dass unser Gehirn und unser Nervensystem plastisch sind. Das heißt, selbst wenn Schmerzen lange bestehen, kann durch die richtige Therapie die Schmerzmatrix „überschrieben“ werden und Schmerzen können zurückgehen.
Denken Sie an Ihre Schulzeit. Haben Sie eine zweite Fremdsprache gelernt wie z.B. Französisch oder Italienisch? Wie gut können Sie diese Sprache noch sprechen? Wahrscheinlich haben Sie das meiste davon vergessen, wenn Sie sie nicht regelmäßig geübt haben.
Genauso funktioniert das mit der Schmerzmatrix auch. Je weniger diese aktiviert wird, z.B. durch gezielte Übungen oder Aktivitäten, die Ihnen Freude bereiten, desto mehr „verlernt“ Ihr Körper auch seit langem bestehende Schmerzen.
Durch Techniken zur Entspannung kann die vegetative Überempfindlichkeit reduziert werden. Ziel ist es, das Nervensystem wieder in die Balance zu bringen, um die Überempfindlichkeit abzubauen und um Schmerzen langfristig zu lindern.
FAQ – Häufige Fragen zum Thema Stress und Schmerz
Kann Stress allein Schmerzen auslösen?
Ja, insbesondere chronischer Stress kann bestehende Schmerzen verschlimmern oder neue Schmerzen hervorrufen.
Welche Methoden helfen am schnellsten gegen stressbedingte Schmerzen?
Atemübungen und progressive Muskelentspannung zeigen oft schnelle Wirkung.
Wie lange dauert es, bis Stressreduktion die Schmerzen lindert?
Je nach individueller Belastung können sich erste Erfolge nach wenigen Wochen zeigen, besonders wenn regelmäßig Entspannungsübungen integriert werden.
Fazit
Stress hat weitreichende Auswirkungen auf das Schmerzempfinden. Wenn der Körper in einem dauerhaften Alarmzustand verweilt, intensivieren sich Schmerzen oder nehmen gar nicht ab.
Der Schlüssel liegt in der Überschreibung der Schmerzmatrix und in der Beruhigung des Nervensystems – durch gezielte Entspannungstechniken und eine ganzheitliche Schmerztherapie.
Weiterführende Informationen, praktische Tipps zur Stressbewältigung und individuelle Unterstützung finden Sie auf meiner Website.