Saskia Hagen
Physiotherapeutin und SportklettertrainerinTherapeutisches Segeln – Ein “Reise-Therapie-Bericht”
Es ist noch früh am Morgen. In den ersten warmen Sonnenstrahlen auf der Badeplattform am Heck unseres Segelboots nehme ich einen Schluck aus meiner Kaffeetasse.
Wir, unser Skipper und ich als Physiotherapeutin und Co-Skipperin, sind seit drei Tagen zusammen mit einer vierköpfigen Familie im ionischen Meer in Griechenland unterwegs. Meine Patientin in dieser Woche ist die 39-jährige Mama von zwei neun- und elf-jährigen Mädchen.
Die Mama hat in Folge einer Brustkrebsdiagnose eine ihre gesamte Chemo- und Strahlentherapie begleitende Bewegungstherapie im Rahmen eines Outdoor-Trainings bei mir gemacht. Heute blickt sie vier Monate nach ihrem Therapieabschluss stolz auf eine Zeit, die nicht einfach war. Eine Zeit, die sie aber nicht zuletzt dank ihrer Willensstärke und der kontinuierlichen und regelmäßigen Bewegung draußen so gut gemeistert hat.
Der Segeltörn mit ihren Liebsten ist für sie neben einer wohlverdienten Belohnung und der Erfüllung eines schon lange bestehenden Urlaubstraum auch der Abschluss meiner Bewegungstherapie mit ihr.
Worum geht es beim therapeutischen Segeln?
Der kurze Film hier vermittelt ein paar erste anregende Eindrücke davon, was therapeutisches Segeln ausmacht: die ideale Kombination von Bewegung und Entspannung. Gleichzeitig ist man zudem draußen in der wunderbaren Natur.
Segeln hat alleine durch seine entschleunigende Wirkung, die Nähe zur Natur und die Möglichkeit, sich auf sich und die wirklich wichtigen Dinge im Leben zu konzentrieren, therapeutische Effekte. Als Physiotherapeutin ergänze ich diese Effekte durch klassische Physiotherapieelemente, angepasst an meine Patient:innen. Je nach Krankheitsbild ergänzen spezifische Therapieelemente als Bewegungstherapie sowohl an Bord als auch im Wasser oder an Land das Segeln auf der Reise, dem sogenannten Törn.
So kann therapeutisches Segeln als besonderer Urlaub genutzt werden, um für diese Zeit die eigene Gesundheit auf die vielleicht angenehmste Art und Weise in den Mittelpunkt zu stellen.
Schwimmen und Stand-Up Paddling als ergänzende Bewegungsformen
Zurück an Bord: Meine Patientin kommt, bereits in Badesachen gekleidet und mit einem Badetuch ausgestattet, zu mir ans Heck. Sie nutzt die morgendliche Ruhe an Bord für sich und geht noch vor dem Frühstück eine erste Runde schwimmen. Am späteren Vormittag, bevor wir den Anker heben, steht noch eine erste Einheit mit dem Stand-Up Paddle (SUP)-Board auf dem Programm. Ich erkläre meiner Patientin und ihrem Mann die Bewegungsabläufe und das Steuern mit dem Paddel. Zudem zeige ich ihnen, wie sie von Bord jeweils mit einem der beiden Mädchen auf die SUPs aufsteigen.
Bei der Fortbewegung durch die wechselseitige Nutzung des Paddels kommt es durch die diagonale Aktivierung der Muskelkette vom Arm bis in das gegenüberliegende Bein zu einer ganzheitlichen Kräftigung des Rumpfs und damit einer Verbesserung der aufrechten Haltung. Viele Brustkrebspatientinnen haben nach einer Operation eine einseitige Haltungsschwäche im Oberkörper, resultierend aus einer postoperativen Schonhaltung auf der betroffenen Seite.
Diese Therapiefolge haben wir in den regelmäßigen Outdoor-Trainingseinheiten bereits thematisiert und behandelt. Jetzt sitzt meine Patientin aufrecht im Kniestand stabil hinter ihrer neunjährigen Tochter auf dem SUP. So paddelt sie, dicht gefolgt von ihrem Mann und ihrer älteren Tochter, immer sicherer werdend auf die kleine, dem Strand vorgelagerte, Insel zu.
Als die Familie von ihrem SUP-Ausflug zurückkommt, steht ein leichtes Mittagessen in Form eines griechischen Salats und eines von mir und den beiden Mädchen am Vorabend gebackenen Vollkornbrots bereit.
Therapeutisches Segeln bedeutet Entschleunigung und fordert doch eine durchgehende Bewegung
Kurz darauf verlassen wir die schöne Bucht und setzten bei leichtem Wind von achtern Segel. Die Familie hat sich schnell an die Abläufe des Bootalltags gewöhnt. Wissbegierig fragen sie unseren Skipper über die benutzten Knoten, die verschiedenen Segelstellungen und das Wetter aus. Mit dem Skipper zu ihrer Rechten übernimmt meine Patientin das Steuer. Er zeigt ihr, wie für das Halten eines Kurses bei entsprechender Segelstellung zu steuern ist. Mit dem Wind im Rücken sind wir nach zwei Stunden kurz vor der Bucht mit dem für heute geplanten Ankerplatz.
Wir bergen die Segel und nutzen die Zeit um gemeinsam, wie schon am Vortag, ein Übungsrettungsmanöver zu fahren. Unter Motor übernimmt der Mann meiner Patientin das Steuer. Kurz darauf geht eine Übungsboje, mit der wir das Mann-über-Bord-Manöver simulieren, an Steuerbord über Bord.
Unser Skipper leitet den Familienvater an richtig zu manövrieren und die nötigen Anweisungen an seine Crewmitglieder zu erteilen. Meine Patientin steht kurz darauf klar zum Aufnehmen der Boje mit dem Bootshaken an der Steuerbordreling bereit. Sie bekommt die Boje schon im ersten Versuch zu fassen. Ihre beiden Mädels klatschen und wollen das ganze Spielchen gleich noch einmal wiederholen.
Sobald der Anker kurz darauf in der geschützten Bucht gefallen ist, ist Baden, Schnorcheln und Schwimmen angesagt. Im untergehenden Sonnenlicht steigt die Familie in das kleine Beiboot und lässt sich von unserem Skipper an den Anleger des Fischerörtchens der Insel fahren. Mit Genuss erkunden sie sowohl das griechische Örtchen als auch die lokale Küche.
Mehr Informationen
Auf meiner Seite gibt es noch mehr Informationen rund um das therapeutische Segeln.