
Nils Boettcher
Physiotherapeut und Experte für VerhaltensänderungWarum ist MI bei Rückenmarksverletzungen für dich relevant?
Rückenmarksverletzungen bringen nicht nur körperliche, sondern auch psychische Herausforderungen mit sich. Deine Patient:innen kämpfen häufig mit Mobilitätsverlust, dem Verlust von Selbstständigkeit, aber auch mit Gefühlen wie Trauer, Isolation oder Identitätskrisen.
Mit MI kannst du ihnen helfen, ihre eigene Motivation zur Rehabilitation zu entdecken und aufrechtzuerhalten. Durch die Betonung von Eigenverantwortung und das Aktivieren vorhandener Ressourcen stärkst du nicht nur die mentale Verfassung deiner Patient:innen – du kannst auch gezielt dazu beitragen, ihre Lebensqualität zu verbessern.
Was deine Patient:innen durch eine Rückenmarksverletzung herausfordert
Physische Auswirkungen
Du weißt, wie unterschiedlich die körperlichen Einschränkungen nach einer Rückenmarksverletzung ausfallen können, etwa:
• Teilweise oder vollständige Lähmung
• Verlust sensorischer Wahrnehmung
• Beeinträchtigungen von Blase und Darm
• Chronische Schmerzen und Spastiken
Diese Veränderungen erschweren nicht nur die Mobilität, sondern auch das selbstständige Bewältigen alltäglicher Aufgaben.
Psychische Belastungen
Viele deiner Patient:innen erleben zusätzlich seelische Belastungen:
• Verlust von Unabhängigkeit
• Depressionen oder Ängste
• Soziale Isolation
• Identitätskrisen
Die plötzliche Veränderung des gesamten Lebensalltags stellt eine immense emotionale Belastung dar. Viele Menschen mit Rückenmarksverletzung stehen vor der Aufgabe, einen neuen Sinn in ihrem Leben zu finden.
Anpassung und Coping-Strategien
Du kannst deine Patient:innen gezielt dabei unterstützen, eigene Strategien zu entwickeln, wie z. B.:
• Akzeptanz der neuen Lebensrealität
• Soziale Unterstützung aktiv suchen und annehmen
• Positive Neubewertung der Situation
• Motivierende Zielsetzung für die Zukunft
Mit den Techniken des MI hilfst du, diese Prozesse zu fördern – auf Augenhöhe und mit Respekt vor der individuellen Lebenssituation.
So setzt du MI bei Rückenmarksverletzungen gezielt ein
Akzeptanz fördern
Viele deiner Patient:innen tun sich schwer, das Geschehene anzunehmen. Mit empathischem Zuhören und gezielten MI-Fragen kannst du sie dabei unterstützen, diesen Prozess achtsam zu begleiten.
Positive Perspektiven aufzeigen
MI hilft dir, gemeinsam mit deinen Patient:innen Diskrepanzen zwischen ihrem aktuellen Verhalten und ihren Werten herauszuarbeiten. Zeigt jemand z. B. wenig Motivation zur Therapie, obwohl ihm Selbstständigkeit wichtig ist, kannst du genau an dieser Stelle ansetzen. Mit den passenden Fragen lenkst du den Blick auf das, was möglich ist – Schritt für Schritt.
Soziale Unterstützung aktivieren
Oft unterschätzen Patient:innen den Wert sozialer Kontakte. Du kannst ihnen helfen, diesen Aspekt bewusst wahrzunehmen und Wege finden, wie sie wieder mehr Verbindung und Unterstützung erleben können.
Diese Techniken aus dem MI kannst du direkt anwenden
Empathisches Zuhören
Durch aktives Zuhören signalisierst du echtes Interesse – und gibst deinen Patient:innen Raum, sich ernst genommen zu fühlen. Besonders das reflektierende Zuhören, also das Zurückspiegeln ihrer Aussagen, schafft Vertrauen und Offenheit.
Diskrepanzen entwickeln
Mit gezielten Fragen hilfst du dabei, innere Widersprüche sichtbar zu machen. Zum Beispiel:
• „Was wäre anders, wenn du deine Übungen regelmäßiger machen würdest?“
• „Was wünschst du dir für die Zukunft – und was steht dir dabei gerade im Weg?“
• „Du sagst, dir ist Selbstständigkeit wichtig – was unterstützt dich aktuell dabei, was hindert dich?“
Widerstand akzeptieren
Widerstand ist normal – und kein Hindernis, sondern ein Signal. Mit MI kannst du diesen Widerstand als Chance begreifen und nutzen, um gemeinsam neue Perspektiven zu entwickeln.
Selbstwirksamkeit stärken
Wenn deine Patient:innen erleben, dass sie selbst etwas bewirken können, wächst ihre Motivation. Mit positiven Rückmeldungen und kleinen Erfolgserlebnissen hilfst du ihnen, Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten zu gewinnen.
Was MI dir in der Praxis bringt
Mehr Lebensqualität für deine Patient:innen
Durch MI fühlen sich deine Patient:innen aktiver in den Reha-Prozess eingebunden. Studien zeigen: Wer mitgestalten kann, erlebt mehr Selbstbestimmung – und damit auch mehr Lebensqualität.
Motivationssteigerung zur Therapie
Mit MI förderst du den inneren Antrieb: Statt „Ich muss zur Therapie“ entsteht ein „Ich will zur Therapie – weil ich mein Ziel erreichen will“.
Besserer Umgang mit Rückschlägen
In der Reha läuft nicht immer alles rund. Mit MI hilfst du deinen Patient:innen, auch in schwierigen Phasen dranzubleiben – ohne sich entmutigen zu lassen.
Stärkung der Selbstwirksamkeit
Wenn du deine Patient:innen ermutigst, Verantwortung für ihren Weg zu übernehmen, wächst ihr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten – ein entscheidender Faktor für langfristige Fortschritte.
So sieht der Einsatz von MI bei Rückenmarksverletzungen in der Praxis aus
Fallbeispiel 1: Thomas – Motivation zur Mobilität
Thomas, Patient nach einem Motorradunfall, hatte große Mühe, sich auf Mobilitätsübungen einzulassen – aus Angst vor Schmerzen. Du setzt MI ein und hörst genau hin. Im Gespräch wird klar: Thomas möchte wieder selbstständig einkaufen gehen und Freunde besuchen.
Und es kam dabei heraus, warum ihm das so wichtig ist. Die Verbindung dieser Ziele und Werte mit den Trainingsmaßnahmen half ihm, die Therapie nicht mehr als Zwang, sondern als Chance zu sehen.
Indem du diese persönlichen Ziele mit den Therapieinhalten verbindest, wird aus dem „Ich muss trainieren“ ein „Ich will trainieren, weil mir das wichtig ist“.
Fallbeispiel 2: Sabine – Umgang mit Frustration
Sabine zieht sich oft zurück, anstatt ihre Übungen zu machen. Mit reflektierendem Zuhören hilfst du ihr, eigene innere Blockaden zu erkennen – etwa den Druck, alles perfekt machen zu müssen.
Gemeinsam entwickelt ihr Strategien, wie sie kleine Fortschritte anerkennen und Frustration besser bewältigen kann.
FAQ – Deine Fragen zu MI
Wie schnell wirkt MI?
Verhaltensänderung ist ein Prozess – erste Veränderungen zeigen sich oft schon nach wenigen Sitzungen, echte, nachhaltige Wirkung braucht aber Zeit und Kontinuität.
Für wen eignet sich MI besonders?
Grundsätzlich für alle – besonders dann, wenn deine Patient:innen offen und in der Lage für Selbstreflexion sind und ihre eigene Entwicklung aktiv mitgestalten möchten.
Wie kannst du MI erlernen?
Es gibt spezielle Fortbildungen und Workshops für Physio- und Ergotherapeut:innen, die MI professionell in ihre Arbeit integrieren möchten. Hier findest du eine Übersicht über kommende Termine.
Fazit: Dein Werkzeug für mehr Motivation und Lebensqualität
Motivational Interviewing ist mehr als nur eine Technik – es ist eine Haltung. Du schaffst damit Raum für echte Veränderung, auf Augenhöhe und mit Respekt. MI hilft dir, deine Patient:innen nicht nur körperlich, sondern auch emotional in ihrer Rehabilitation zu begleiten.
Wenn du MI gezielt in deine Praxis einbaust, wirst du erleben, wie es dir gelingt, Rückschläge gemeinsam besser zu bewältigen – und deine Patient:innen langfristig motiviert zu halten.
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Hier herunterladenLiteratur zum Thema Motivational Interviewing
W.R. Miller, S. Rollnick: Motivierende Gesprächsführung: Motivational Interviewing. 4. Auflage (2025), Freiburg: Lambertus. ISBN: 9783784136417
W.R. Miller, S. Rollnick: Motivational Interviewing: Helping People Change and Grow. 4. edition (2023), Guilford Press. ISBN: 9781462552795
W.R. Miller, S. Rollnick: Motivierende Gesprächsführung: Motivational Interviewing. 3. Auflage (2015), Freiburg: Lambertus. ISBN: 9783784127507
S. Rollnick, W.R. Miller, C.C. Butler: Motivierende Gesprächsführung in den Heilberufen. (2012), Probst Verlag: Lichtenau/Westf. ISBN: 3981338979