Nils Boettcher
Physiotherapeut und Experte für VerhaltensänderungSchluss mit den „Ja, abers …“ – Wie du Motivational Interviewing in der Praxis einsetzt
Als Experte aus der Physio- und Bewegungstherapie ist es dein Wunsch, deinen Patienten zu helfen, damit sie ihre Gesundheitsziele bestmöglich erreichen. Dir ist es wichtig, dass es ihnen rasch besser geht und sie schnelle Erfolge verzeichnen können.
Du weißt aber genauso gut, wie herausfordernd das in der Praxis tatsächlich ist.
Es ist nicht leicht, deine Patienten zur Mitarbeit und Motivation zu bewegen. Manchmal hast du das Gefühl, dass du entweder ein Papagei, ein Überredungskünstler oder ein Lehrer bist.
Und keine dieser Rollen fühlt sich gut an, richtig? Natürlich nicht, das bist ja auch alles nicht du.
Als Physiotherapeut kenne ich es zu gut.
Wie frustrierend es ist, wenn ein Patient nicht die nötige Motivation aufbringt, um die empfohlenen Übungen durchzuführen oder den Therapieverlauf konsequent zu verfolgen.
Das hat bald ein Ende, denn:
Es gibt eine bewährte Methode, die dich dabei unterstützt, diese Hürden zu überwinden:
Das Motivational Interviewing – kurz MI. (zu Deutsch Motivierende Gesprächsführung)
Damit schaffst du es nicht nur, dein Wissen so zu vermitteln, dass dein Patient es einwandfrei annimmt und den Zweck für sich dahinter versteht. Du weckst in ihm auch seine intrinsische Motivation, sich zu beteiligen, die Übungen und Trainingspläne wirklich allein durchzuziehen.
Du weißt nämlich, dass es genau darauf ankommt:
Es ist entscheidend, dass dein Patient aktiv an seiner Genesung mitwirkt und selbst Verantwortung übernimmt. Nur so kann er die gewünschten Erfolge langfristig erreichen und vor allem halten.
In diesem Artikel bekommst du nicht nur einige typische Herausforderungen vorgestellt. Sondern du erhältst auch die Lösungsansätze dafür, die deinen Alltag mit deinen Patienten mit Sicherheit erleichtern werden.
So war es zumindest bei mir und vielen anderen Experten, die bereits mit dem MI-Konzept arbeiten.
Eine der Lieblingsherausforderungen deines Patienten: „Ich habe keine Zeit.“
Ein sehr beliebtes Argument der Patienten. Kennst du sicher zu gut.
Dein Patient ist im Alltag so beschäftigt, dass es schwierig für ihn ist, Zeit für seine Übungen zu finden.
Arbeit, Familie, die Verpflichtungen – all das scheint ihm im Weg zu stehen. Doch du weißt, wie wichtig die regelmäßige Durchführung der Übungen ist, um Fortschritte zu erzielen.
Wie könntest du ihn also motivieren, trotz seines vollen Terminkalenders Zeit für seine Gesundheit zu finden?
Nicht du motivierst ihn! Sondern es funktioniert viel einfacher (oder vielleicht überhaupt erst), indem er selbst den Wert erkennt, den er davon hat, wenn er es tut.
Die Techniken und die Vorgehensweisen des Motivational Interviewing helfen dabei, die Motivation deines Patienten zu stärken und ihm bewusst zu machen, dass seine Gesundheit oberste Priorität haben sollte.
Indem du spezielle offene Fragen stellst und ihm den Raum gibst, seine eigenen Gründe für die Übungen zu entdecken, steigerst du seine intrinsische Motivation enorm.
Er wird bestimmte Dinge in seinem Leben auf der Grundlage seiner Werte neu priorisieren. Dank deiner Gesprächstechnik hat er diese jetzt bewusster auf dem Schirm.
Er wird dadurch erkennen, dass er selbst die Kontrolle über seine Zeit hat und dass seine Gesundheit es wert ist, sich Zeit dafür zu nehmen.
Auch eine bekannte Herausforderung: „Mein innerer Schweinehund …“
Der innere Schweinehund ist für dich sicher auch kein Unbekannter.
Du kennst ihn bestimmt auch selbst gut – diese kleine Stimme in deinem Kopf, die dir sagt, dass du es heute einfach mal sein lassen sollst.
Die dir sagt: Komm, reicht doch auch morgen. Oder?
Sowas in der Richtung flüstert sie deinem Patienten auch zu. Er hat einfach Tage, an denen er keine Lust hat oder er sich einfach unmotiviert fühlt.
Wie kannst du damit umgehen?
Mithilfe von Motivational Interviewing ermöglichst du es, diesen inneren Schweinehund direkt anzusprechen und zu verstehen, was genau dahintersteckt.
Indem du wirklich zuhörst und die Sorgen und Zweifel deines Patienten ernst nimmst, kannst du ihm dabei helfen, seine eigene Zuversicht zu stärken.
Anstatt also zu sagen, was er tun soll, erkenne seine Bedürfnisse, seine Wünsche und seine Ziele und hilf ihm dabei, seine eigene Motivation zu entdecken.
Durch Spiegeln und Zusammenfassen seiner Äußerungen gibst du ihm die Möglichkeit, seine eigenen Stärken zu erkennen.
Er wird die Diskrepanz zwischen seinem aktuellen Verhalten und dem zielführenden neuen Verhalten klarer erkennen. Und das fördert seine Motivation. Es wird eine aktive Suche beginnen, wie er erfolgreicher seinen Schweinehund austricksen kann.
Du wirst mit Freude feststellen, dass er die Fähigkeit wieder findet, seinen inneren Schweinehund zu zähmen, Unterstützungen einzubauen und die Übungen eigenverantwortlich nachhaltig durchzuführen.
Eine nächste, absolut verständliche Herausforderung: „Ich habe Angst vor Schmerzen bei der Übung.“
Das verstehst du absolut, weil: Wer mag schon Schmerzen?
Und wie du weißt, ist die Angst vorm Schmerz oft schlimmer als der Schmerz selbst.
Dein Patient hat Angst vor der Übung oder tatsächlich vor den Schmerzen bei der Ausführung der Bewegungen.
Diese negativ behafteten Emotionen beeinflussen seine Motivation natürlich auch im negativen Sinn. Es hält ihn davon ab, die Übungen durchzuführen.
Wie kannst du ihm hier helfen, diese Herausforderungen zu überwinden?
Im Rahmen des MI, schaffst du ein unterstützendes und einfühlsames Umfeld, in dem du mit deinem Patienten seine Befürchtungen ehrlich und offen erkunden kannst. Ohne davor zu kapitulieren.
Indem du empathisch reagierst und seine Gefühle validierst, fühlt er sich wahr- und ernstgenommen.
Neben der individuellen Anpassung der Übung, ist die spezifische Aufklärung (Pain Education) hier auch sinnvoll.
Indem du seine Selbstwirksamkeit stärkst, gibst du ihm das Vertrauen, dass er in der Lage ist, seine Ängste zu überwinden und die Übungen erfolgreich durchzuführen.
Nächste Herausforderung: „Ich spüre keinen Effekt.“
Für dich als Therapeutin ist klar, dass Gut Ding Weile braucht – dem Patienten ist das oft nicht klar.
Er hat Schwierigkeiten, den Nutzen der Übungen zu erkennen.
Er ist frustriert, weil er keine sofortigen Ergebnisse sieht oder spürt.
Wie kannst du ihm jetzt dabei helfen, den Glauben an den Erfolg seiner Bemühungen aufrechtzuerhalten?
Sprich das Gefühl hinter dieser Aussage an, z.B. „Sie sind gerade frustriert.“ Sobald sich ein Mensch wahrgenommen und verstanden fühlt, sind alle folgende Schritte deutlich einfacher zu gehen.
Indem du den Fokus deines Patienten auf den Prozess, statt auf das Ergebnis lenkst. Sprich, weil du seine Fortschritte wertschätzt und ihn dazu ermutigst, kleine Erfolge zu erkennen, stärkst du sein Vertrauen in den langfristigen Nutzen der Übungen.
Du hilfst ihm dabei, dass er realistische Erwartungen entwickelt und zeigst auf, dass Veränderungen Zeit brauchen.
Preisfrage: Wie kannst du das am besten in die Praxis umsetzen?
Es gibt einige Dinge, die du wissen musst, damit das alles im Gespräch mit deinem Patienten auch wirklich gut funktioniert.
Dazu musst du zusätzlich wissen, wie du was und vor allem wann kommunikativ umsetzt.
Damit du dich einfacher orientieren kannst, schau dir hier das Stufenmodell an.
Stell‘ es dir einfach wie eine Treppe vor:
Diese Treppe bis nach oben hat vier Stufen, die aufeinander aufbauen:
- Der Beziehungsaufbau
- Die Auftragsklärung
- Das Hervorrufen von Motivation
- und das Planen der Umsetzung
Alle dieser Stufen sind enorm wichtig, um deine Patienten erfolgreich zu begleiten und ihnen zu helfen, ihre individuellen Ziele zu erreichen.
Allerdings ist diese Treppe keine Einbahnstraße.
Das heißt, du kannst auf den Stufen hoch – und bei Bedarf auch zurück – gehen, um deine kommunikative Intervention passend zu platzieren.
Es ist nur wichtig, dass du keine Stufe auslässt.
Baue eine vertrauensvolle Beziehung auf – Die tragfähige therapeutische Allianz
Schaffe ein schützendes Umfeld für deinen Patienten. Ein Umfeld, indem er sich wohl und verstanden fühlt.
Denn nur dann wird er sich dir gerne öffnen und wirklich ehrlich zu dir sein.
Nimm dir ausreichend Zeit für den Beziehungsaufbau, denn das daraus resultierende therapeutische Verhältnis ist das Fundament für den gesamten Therapieprozess.
Höre aktiv zu und lass deine Patienten ihre Sicht der Dinge darlegen.
Behandle sie dabei als gleichberechtigte Partner und versuche dich in ihre Situation hineinzuversetzen.
Zeige Interesse an ihren Anliegen und respektiere ihre Autonomie.
Achte auf Unstimmigkeiten und reagiere achtsam darauf. Bedenke, dass MI mehr ist als eine Intervention – es ist eine gelebte Grundhaltung, eine Beziehungsarbeit mit Menschen auf Augenhöhe.
Kläre den Auftrag und eure Rollen
Die Auftragsklärung ist der nächste Schritt, um mit deinen Patienten gemeinsam die Rahmenbedingungen und Rollenerwartungen abzusprechen.
Frage hier nach ihren Erfahrungen mit anderen Therapien und erkläre ihnen deine Arbeitsphilosophie, damit keine falschen Erwartungen an dich unterbewusst im Raum bleiben.
Gemeinsam könnt ihr Ziele festlegen und die verschiedenen Optionen zur Veränderung besprechen.
Achte dabei darauf, dass du ihn mit einbeziehst, denn das steigert sein Committment auch längerfristig aktiv zu werden.
Unterscheide zwischen den Zielen auf der Ergebnisebene (z.B. die Reduktion der Schmerzen oder die Verbesserung der Lebensqualität) und den Zielen auf der Verhaltensebene (der aktive Weg hin zu diesem Ziel, also das konkrete Tun). Bei den letzteren liegen häufiger die Motivationsherausforderungen.
Wecke ihre Motivation und stärke sie
Das Wichtigste ist das Hervorrufen von Motivation.
Hier geht es darum, dass du deine Patienten in ihren Äußerungen und Gedanken in Richtung Veränderung bestärkst.
Vermeide es, nur Ratschläge zu geben und für eine Veränderung zu argumentieren.
Lasse sie stattdessen ihre Vorteile selbst reflektieren.
Achte auf Argumente, die für eine Veränderung sprechen und lasse sie weiter erkunden.
Lenke den Fokus weg von Aussagen, die eine Veränderung ablehnen – wieder hin zum Veränderungsziel, zum Positiven, zu Ressourcen.
Nutze dafür auch zweiseitige Reflexionen, um deinen Patienten ihre genannten Vor- und Nachteile zu spiegeln, damit sie selbst merken, wo sie stehen.
Plane die Umsetzung
Zuletzt kommt der Prozess der Umsetzung.
Hier entwickelst du gemeinsam mit deinen Patienten einen spezifischen Änderungsplan, den sie umsetzen möchten.
Hier hast du zwei Rollen.
Zum einen empfiehlst du als Experte spezifische Übungen und Dosierungen, zum anderen ist der Patient der Experte für sein Leben.
Er kann z. B. am besten einschätzen, wann es in seinem Alltag untergebracht werden kann. Wie er mit möglichen Hindernissen umgeht. Was ihn bei der Stange hält.
Halte dich zurück mit Informationen und Ratschlägen, die nicht therapeutisch notwendig sind, und lass deine Patienten selbst festlegen, welcher Schritt zur Umsetzung als nächstes für sie machbar ist.
Frage sie, was ihnen dabei helfen würde und lass sie ihren Plan zur Integration der Aktivitäten in den Alltag selbst entwickeln. Sei neugierig und offen für ihre Ideen und Möglichkeiten.
Mit diesen vier Treppenstufen im Hinterkopf, hast du eine gute Orientierung im Gespräch mit deinen Patienten.
Was kann ich dir aus meiner Erfahrung mit Motivational Interviewing in meiner Praxis mitgeben?
In meiner eigenen Physiotherapiepraxis (und auch im restlichen Leben außerhalb) habe ich die positiven Auswirkungen von Motivational Interviewing hautnah erlebt.
Durch den Einsatz dieser Methode habe ich nicht nur eine bessere Zusammenarbeit mit meinen Patienten erreicht, sondern auch eine Veränderung in meiner eigenen Energie und Motivation gespürt.
Ich bin nicht mehr ausgelaugt von den Menschen, die ständig mit dem berühmten “Ja, aber …” antworten, sondern ich kann ihnen jetzt effektiv und nachhaltig helfen, ihre Ziele zu erreichen.
Diese Methode hat mein therapeutisches Wirken auf eine neue Ebene gehoben und es mir ermöglicht, energiegeladen in den Feierabend zu gehen, wissend, dass ich einen positiven Einfluss auf das Leben meiner Patienten habe.
Wenn du dich hier wieder findest, dann ist das Motivational Interviewing auch etwas für dich! Anstatt zu hoffen, dass sich Patienten allein durch Aufklärung oder gut gemeinte Ratschläge ändern, schaffst du es mit diesem Ansatz, dass sie ihre eigene Motivation (wieder-)finden.
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> Du bekommst bewährtes Wissen für deine tägliche Arbeit mit Menschen, die ihr Verhalten ändern sollen
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> Du kennst die Stellschrauben einer Verhaltensänderung und kannst sie effektiv nutzen
> Du weißt endlich, was wann zu tun ist, damit Patienten mehr Selbstverantwortung übernehmen
> Du bist weniger frustriert durch “Ja, aber ….”-Patienten, weil du mit ihnen umgehen kannst
Hier herunterladenLiteratur zum Thema Motivational Interviewing in der Praxis
W.R. Miller, S. Rollnick: Motivational Interviewing: Helping People Change and Grow. 4. edition (2023), Guilford Press. ISBN: 9781462552795
W.R. Miller, S. Rollnick: Motivierende Gesprächsführung: Motivational Interviewing. 3. Auflage (2015), Freiburg: Lambertus. ISBN: 9783784127507
S. Rollnick, W.R. Miller, C.C. Butler: Motivierende Gesprächsführung in den Heilberufen. (2012), Probst Verlag: Lichtenau/Westf. ISBN: 3981338979