
Nils Boettcher
Physiotherapeut und Experte für VerhaltensänderungWas ist Motivational Interviewing / motivierende Gesprächsführung?
Ursprung und Bedeutung für Therapieberufe
Die Motivierende Gesprächsführung (Motivational Interviewing oder MI) wurde Ende der 1980er-Jahre von William Miller und Steven Rollnick ursprünglich für die Suchttherapie entwickelt. Seitdem hat sich der Ansatz stetig weiterentwickelt und seinen Weg in viele Bereiche der therapeutischen Praxis gefunden.
Heute unterstützt MI im Gesundheitswesen Patienten dabei, eigenständig und motiviert an ihrer gesundheitlichen Verbesserung zu arbeiten, indem sie persönliche Ressourcen stärkt und die intrinsische Motivation fördert. Aufgrund dieser Wirksamkeit findet MI in zahlreichen therapeutischen Kontexten Anwendung und bewährt sich besonders bei der Behandlung verschiedenster psychischer Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen oder Schizophrenie.
Grundprinzipien und therapeutische Haltung
Die motivierende Gesprächsführung lebt von einer empathischen, wertschätzenden Grundhaltung. Du erkennst die Autonomie deiner Patient:innen an und begleitest sie bei der Entdeckung eigener Motive.
Wichtig ist hierbei, Druck und Belehrungen strikt zu vermeiden. Stattdessen setzt du auf aktives Zuhören, offene Fragen und gezielte Reflexion.
Anwendung in der Physio- und Ergotherapie
Therapeutische Haltung im Alltag
Dein Ziel ist es, eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen, die von Wertschätzung und Verständnis geprägt ist. Veränderung ist für viele psychisch Erkrankte schwierig und von Unsicherheiten begleitet.
Deshalb ist es entscheidend, Ambivalenzen nicht zu ignorieren, sondern bewusst als Teil des Veränderungsprozesses zu akzeptieren und zu nutzen.
Von Compliance zu Adherence
In der modernen Therapie setzt du nicht mehr nur auf das reine Befolgen deiner Anweisungen („Compliance“), sondern förderst die aktive Mitarbeit und Mitgestaltung („Adherence“).
Indem du deine Patientinnen und Patienten in Therapieziele und gemeinsame Entscheidungen einbindest, stärkst du ihre Motivation und das Gefühl der Eigenverantwortung.
Kernkompetenzen in der Praxis
- Reflektierendes Zuhören: Durch reflektierendes Zuhören zeigst du echtes Verständnis, ohne zwingend zuzustimmen. So förderst du Vertrauen und Bereitschaft zur Veränderung.
- Anerkennung von Ambivalenz: Ambivalenzen sind normal und bieten wertvolle Ansatzpunkte für Reflexion. Nutze sie konstruktiv für den Therapieprozess.
- Förderung von Eigenverantwortung: Unterstütze deine Patient:innen dabei, eigene Lösungsansätze zu entwickeln, statt ihnen fertige Lösungen vorzugeben oder ihnen sogar Dinge abzunehmen, die sie selber umsetzen könnten.
- Umgang mit Widerstand: Widerstand ist häufig Ausdruck tiefer liegender Bedürfnisse oder Ängste. Indem du diesen Widerstand respektierst und erkundest, stärkst du die therapeutische Zusammenarbeit.
Praktische Umsetzung im psychiatrischen Kontext
Am Anfang des Therapieprozesses solltest du vor allem Vertrauen aufbauen und nicht zu viel auf einmal vermitteln. Sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich kannst du mithilfe der motivierenden Gesprächsführung erste Therapieziele klären und Ambivalenzen gezielt ansprechen.
Später in der Planung von Bewegungs- und Aktivitätsangeboten hilft diese Methode ebenfalls: Statt Patient:innen bloß Übungen oder Aktivitäten vorzuschreiben, erarbeitest du mit ihnen gemeinsam individuelle und realistische Ziele, die ihren Interessen, Werten und Fähigkeiten entsprechen.
Dabei kommen auch gezielt Behaviour Change Techniques (BCT) zum Einsatz – also wissenschaftlich fundierte Strategien zur Verhaltensänderung –, um die Umsetzung im Alltag nachhaltig zu unterstützen.
Dazu zählen unter anderem Handlungsplanung, Problemlösen, Selbstbeobachtung des Verhaltens und Feedback.
Evidenz und Erfolg
Zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen, dass die Motivierende Gesprächsführung (Motivational Interviewing) die intrinsische Motivation von Patient:innen nachhaltig stärkt und einen bedeutenden Beitrag zur langfristigen Verhaltensänderung leisten kann.
Besonders bei chronischen psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen oder Suchterkrankungen zeigt sich die Wirksamkeit dieser Methode deutlich – sowohl in der Stabilisierung als auch in der Verbesserung des Gesundheitsverhaltens.
Als Therapeut:in bietet dir MI ein wirkungsvolles Instrument, das sich flexibel in unterschiedliche Settings integrieren lässt – sei es in der Einzeltherapie, in Gruppenangeboten oder im Rahmen interdisziplinärer Behandlungskonzepte.
Durch den gezielten Einsatz von MI kannst du deine Patient:innen nicht nur dabei unterstützen, aktiv an ihrer Genesung oder an der Stabilisierung des Zustandes mitzuwirken, sondern auch die Zielerreichung im therapeutischen Prozess deutlich verbessern.
FAQ für Therapieprofis
Wie gehe ich mit fehlender Motivation um?
Gib deinen Patient:innen Raum, ihre Unsicherheiten auszudrücken, und hilf ihnen, eigene realistische Ziele zu definieren.
Wie reagiere ich, wenn Patient:innen sich gegen Therapievorschläge sträuben?
Bleibe empathisch und verständnisvoll. Ermögliche eine gemeinsame Reflexion von Vor- und Nachteilen und finde gemeinsam Alternativen, ohne Druck auszuüben.
Welche Fehler sollte ich vermeiden?
Vermeide Belehrungen und stelle niemals deine Ziele über die Bedürfnisse und Wünsche der Patient:innen.
Fazit
Motivierende Gesprächsführung ist mehr als eine Methode – sie ist eine Grundhaltung, die gerade in der Physio- und Ergotherapie hilft, nachhaltige Veränderungen bei psychisch erkrankten Menschen zu fördern.
Durch diese Herangehensweise schaffst du es, Therapieerfolge langfristig zu sichern und die Motivation deiner Patient:innen nachhaltig zu steigern.
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Hier herunterladenLiteratur zum Thema Motivational Interviewing
W.R. Miller, S. Rollnick: Motivierende Gesprächsführung: Motivational Interviewing. 4. Auflage (2025), Freiburg: Lambertus. ISBN: 9783784136417
W.R. Miller, S. Rollnick: Motivational Interviewing: Helping People Change and Grow. 4. edition (2023), Guilford Press. ISBN: 9781462552795
W.R. Miller, S. Rollnick: Motivierende Gesprächsführung: Motivational Interviewing. 3. Auflage (2015), Freiburg: Lambertus. ISBN: 9783784127507
S. Rollnick, W.R. Miller, C.C. Butler: Motivierende Gesprächsführung in den Heilberufen. (2012), Probst Verlag: Lichtenau/Westf. ISBN: 3981338979