
Nils Boettcher
Physiotherapeut und Experte für VerhaltensänderungWarum Sturzprävention so wichtig ist
Stürze gehören zu den häufigsten Unfallursachen im Alter und können schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben.
Besonders tückisch: Mit zunehmendem Alter nimmt nicht nur die Häufigkeit von Stürzen zu, sondern auch das Risiko, sich dabei ernsthaft zu verletzen. Laut der Bundesinitiative Sturzprävention (BIS) sind ältere Menschen häufig von Knochenbrüchen betroffen, insbesondere Oberschenkelhalsbrüchen.
Diese Verletzungen sind oft der Beginn einer Abwärtsspirale: Nach einem Sturz verlieren viele Betroffene das Vertrauen in ihre körperliche Leistungsfähigkeit, was zu weniger Bewegung führt. Dieser Bewegungsmangel schwächt die Muskulatur, verschlechtert den Gleichgewichtssinn und erhöht so erneut das Sturzrisiko – ein echter Teufelskreis.
Doch nicht nur körperliche Folgen spielen eine Rolle. Auch die psychologischen Auswirkungen sind nicht zu unterschätzen.
Viele Betroffene entwickeln nach einem Sturz eine ausgeprägte Angst vor dem erneuten Fallen. Diese Furcht führt dazu, dass sie sich weniger bewegen, obwohl gerade das der falsche Weg ist. Schließlich ist regelmäßige Bewegung der Schlüssel, um das Risiko zu minimieren. Stürze können zudem zu sozialer Isolation führen, da Betroffene aus Angst das Haus seltener verlassen.
Bewegung ist der Schlüssel zur Sicherheit
Regelmäßige Bewegung ist eine der wirksamsten Methoden, um Stürze zu vermeiden. Studien zeigen, dass gezieltes Training von Kraft, Balance und Koordination das Sturzrisiko erheblich senken kann. Dabei geht es nicht darum, Höchstleistungen zu erbringen – schon einfache Übungen im Alltag machen einen großen Unterschied.
Krafttraining stärkt die Muskulatur, insbesondere in den Beinen, was die Standfestigkeit verbessert. Das ist wichtig, weil starke Beinmuskeln dir helfen, in kritischen Situationen stabil zu bleiben.
Balancetraining wiederum schult den Gleichgewichtssinn, der im Alter oft nachlässt. Koordinationsübungen helfen, die Reaktionsfähigkeit zu verbessern und den Körper in unerwarteten Situationen schnell zu stabilisieren.
Bewegung lässt sich leicht in den Alltag integrieren. Treppensteigen statt den Aufzug zu nehmen, ein Spaziergang an der frischen Luft oder das Tragen kleiner Einkäufe trainieren den Körper ganz nebenbei.
Wer zusätzlich gezielte Übungen machen möchte, kann zum Beispiel den Einbeinstand üben, bei dem man sich anfangs an einer stabilen Stütze festhält. Auch Kniebeugen, langsames Auf- und Absetzen von einem Stuhl oder der Tandemstand (bei dem ein Fuß direkt vor den anderen gesetzt wird) sind effektive Übungen.
Wichtig ist, dass die Übungen regelmäßig durchgeführt werden, idealerweise zwei- bis dreimal pro Woche.
Für alle, die sich unsicher fühlen, bieten viele Physiotherapiepraxen oder Sportvereine spezielle Kurse zur Sturzprävention an. Hier werden Übungen unter professioneller Anleitung durchgeführt, oft in kleinen Gruppen, was zusätzlich motiviert.
Stolperfallen im Haushalt erkennen und beseitigen
Die meisten Stürze passieren nicht draußen, sondern in den eigenen vier Wänden. Das liegt daran, dass man sich hier besonders sicher fühlt und daher weniger auf mögliche Gefahren achtet. Doch genau das ist ein Trugschluss. Typische Stolperfallen sind lose Teppiche, rutschige Böden, herumliegende Kabel oder schlecht beleuchtete Flure. Auch Türschwellen, ungesicherte Teppichkanten oder instabile Möbel können zur Gefahr werden.
Um das Zuhause sicherer zu machen, lohnt sich ein kritischer Rundgang durch die Wohnung. Lose Teppiche sollten entweder entfernt oder mit rutschfesten Unterlagen fixiert werden. Kabel gehören so verlegt, dass sie nicht im Weg liegen. In Badezimmern helfen rutschfeste Matten und Haltegriffe an Dusche und Toilette, um sich beim Ein- und Aussteigen besser abzustützen.
Auch eine gute Beleuchtung ist entscheidend. Dunkle Flure oder Treppenhäuser erhöhen das Sturzrisiko erheblich. Bewegungsmelder können hier eine einfache Lösung sein, um Licht automatisch einzuschalten. Nachttischlampen oder kleine Nachtlichter sorgen dafür, dass du dich auch nachts sicher bewegen kannst, ohne im Dunkeln zu tappen.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die richtige Anordnung der Möbel. Halte die Wege in deiner Wohnung frei und achte darauf, dass keine Gegenstände im Weg stehen, über die du stolpern könntest. Wenn du dir unsicher bist, ob deine Wohnung sturzsicher ist, kannst du einen Physiotherapeuten oder eine Pflegefachkraft um eine Beratung bitten. Oft erkennen sie Gefahren, die einem selbst gar nicht mehr auffallen.
Der Einfluss von Sehen, Hören und Medikamenten
Nicht nur die körperliche Fitness beeinflusst das Sturzrisiko – auch das Seh- und Hörvermögen spielt eine wichtige Rolle. Wer gut sieht und hört, kann potenzielle Gefahren schneller erkennen und schneller reagieren. Leider lassen diese Sinne mit zunehmendem Alter oft nach.
Daher ist es wichtig, regelmäßig Augen- und Hörtests durchführen zu lassen. Eine gut angepasste Brille oder ein Hörgerät kann in vielen Fällen das Sturzrisiko deutlich reduzieren.
Auch Medikamente können unbemerkt zur Sturzgefahr beitragen. Bestimmte Arzneimittel, insbesondere Schlaf- oder Beruhigungsmittel, Medikamente gegen Bluthochdruck oder Schmerzmittel, können Schwindel, Müdigkeit oder Gleichgewichtsstörungen verursachen.
Besonders gefährlich ist die Kombination mehrerer Medikamente, da sich deren Nebenwirkungen gegenseitig verstärken können.
Daher solltest du deine Medikation regelmäßig von deinem Arzt oder Apotheker überprüfen lassen. Besprich dabei offen, ob du in letzter Zeit unter Schwindel, Benommenheit oder Gleichgewichtsstörungen leidest. Manchmal reicht schon eine kleine Anpassung der Dosierung oder der Wechsel zu einem anderen Präparat, um das Risiko zu senken.
Was tun nach einem Sturz?
Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen kann es passieren, dass du stürzt. In solchen Momenten ist es wichtig, ruhig zu bleiben und die Situation besonnen zu beurteilen. Versuche zunächst, tief durchzuatmen und dich nicht von der Panik überwältigen zu lassen. Überprüfe dann vorsichtig, ob du dich verletzt hast. Kannst du deine Arme und Beine schmerzfrei bewegen? Fühlst du irgendwo starke Schmerzen?
Wenn du dich nicht schwer verletzt hast, kannst du versuchen, dich langsam aufzurichten. Drehe dich zunächst auf die Seite, dann auf den Bauch und stütze dich mit den Armen ab. Krieche zu einer stabilen Erhöhung, wie einem Stuhl oder Tisch, an dem du dich langsam hochziehen kannst.
Wichtig ist, dass du dir Zeit lässt und bei Schwindel oder Schmerzen sofort innehältst.
Falls du dich nicht selbst aufrichten kannst oder starke Schmerzen hast, rufe um Hilfe. Falls du ein Notrufsystem trägst, aktiviere es. Ist niemand in der Nähe, versuche, dich mit einem lauten Gegenstand bemerkbar zu machen. Liegt ein Telefon in Reichweite, wähle den Notruf.
Nach einem Sturz ist es immer sinnvoll, die Ursache zu klären. War es eine Stolperfalle? Ein plötzlicher Schwindelanfall? Oder gibt es eine medizinische Ursache, die behandelt werden sollte? Ein Gespräch mit dem Hausarzt oder Physiotherapeuten kann helfen, die richtigen Maßnahmen zu ergreifen, um weitere Stürze zu vermeiden.
FAQ – Häufige Fragen zur Sturzprävention
Welche Übungen helfen am besten gegen Sturzgefahr?
Die effektivsten Übungen zur Sturzprävention kombinieren Kraft-, Balance- und Koordinationstraining.
Besonders bewährt haben sich:
- Einbeinstand: Hierbei stehst du auf einem Bein, um dein Gleichgewicht zu trainieren. Anfangs kannst du dich an einer stabilen Oberfläche festhalten.
- Tandemstand: Stelle einen Fuß direkt vor den anderen, als würdest du auf einer Linie balancieren. Diese Übung verbessert deine Standstabilität.
- Kniebeugen: Sie stärken deine Oberschenkelmuskulatur und helfen dir, sicher aus dem Sitzen aufzustehen.
- Gewichtsverlagerungen: Verlagere dein Körpergewicht langsam von einem Bein auf das andere. Dies verbessert das Körperbewusstsein und die Reaktionsfähigkeit.
Wichtig ist, dass du regelmäßig trainierst – idealerweise zwei- bis dreimal pro Woche. Falls du dir unsicher bist, welche Übungen für dich geeignet sind, kann ein Physiotherapeut dir ein individuelles Programm zusammenstellen.
Wie oft sollte ich trainieren?
Für eine wirksame Sturzprävention solltest du mindestens 2–3 Mal pro Woche gezielt trainieren. Die Trainingseinheiten müssen nicht lang sein – schon 20 bis 30 Minuten können ausreichen, wenn du konsequent bleibst.
Zusätzlich hilft es, alltägliche Bewegungen bewusster einzubauen, etwa Treppensteigen, kurze Spaziergänge oder das Tragen kleinerer Einkäufe. Bewegung im Alltag ist genauso wertvoll wie gezielte Übungen.
Was kann ich tun, wenn ich Angst vor dem Fallen habe?
Angst vor dem Stürzen ist verständlich, kann aber kontraproduktiv sein, da sie oft zu weniger Bewegung führt – und genau das erhöht das Sturzrisiko. Um diese Angst zu überwinden, helfen folgende Strategien:
- Selbstbewusstsein stärken: Durch gezielte Balance- und Kraftübungen gewinnst du mehr Sicherheit im Alltag.
- Training in Gruppen: Gemeinsames Üben in Seniorengruppen oder Reha-Kursen kann motivieren und Ängste abbauen.
- Beratung suchen: Eine Physiotherapeutin kann dir nicht nur Übungen zeigen, sondern auch mentale Strategien vermitteln, um das Vertrauen in deinen Körper zurückzugewinnen.
- Sicherheitsmaßnahmen zu Hause: Wenn du weißt, dass deine Umgebung sicher ist (z.B. durch Haltegriffe oder rutschfeste Matten), fühlst du dich automatisch sicherer.
Welche Rolle spielen Medikamente bei der Sturzprävention?
Viele Medikamente können das Sturzrisiko erhöhen, insbesondere wenn sie Schwindel, Müdigkeit oder Gleichgewichtsstörungen verursachen.
Dazu gehören:
- Schlaf- und Beruhigungsmittel
- Blutdrucksenker
- Antidepressiva
- Schmerzmittel
Wenn du mehrere Medikamente einnimmst, steigt das Risiko, da Nebenwirkungen sich verstärken können. Es ist daher ratsam, regelmäßig einen Medikations-Check beim Arzt oder Apotheker durchführen zu lassen.
Falls du nach Beginn eines neuen Medikaments Schwindel, Unsicherheit oder Schwäche spürst, solltest du dies sofort besprechen.
Sollte ich nach einem Sturz immer zum Arzt?
Nicht jeder Sturz erfordert sofort einen Arztbesuch. Dennoch gibt es klare Warnzeichen, bei denen du nicht zögern solltest:
- Starke Schmerzen (z.B. in der Hüfte, im Rücken oder Kopf)
- Verwirrtheit oder Bewusstlosigkeit nach dem Sturz
- Bewegungseinschränkungen (du kannst nicht mehr aufstehen oder ein Bein nicht belasten)
- Offene Wunden oder sichtbare Deformierungen (mögliche Brüche)
Auch wenn du keine akuten Beschwerden hast, aber öfter stürzt oder dich zunehmend unsicher fühlst, solltest du dies mit deinem Arzt besprechen.
Oft lassen sich medizinische Ursachen wie Kreislaufprobleme, Nervenerkrankungen oder Nebenwirkungen von Medikamenten identifizieren und behandeln.
Fazit: Aktiv bleiben, sicher leben
Sturzprävention ist kein einmaliges Projekt, sondern ein kontinuierlicher Prozess.
Regelmäßige Bewegung, ein sicheres Wohnumfeld, die Kontrolle von Sehen, Hören und Medikamenten sowie ein selbstbewusster Umgang mit der eigenen Gesundheit sind entscheidend, um Stürze zu vermeiden.
Der wichtigste Punkt:
Bleib in Bewegung! Auch wenn die Angst vor dem Sturz groß ist – wer aktiv bleibt, gewinnt nicht nur Sicherheit, sondern auch Lebensfreude und Selbstständigkeit.
Es ist nie zu spät, mit kleinen Schritten große Erfolge zu erzielen.
Weiterführende Literatur
Bundesinitiative Sturzprävention: Empfehlungspapiere zur Sturzprävention.
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), eine Fachbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit, bietet hier die interessante Zusammenstellung „Gleichgewicht & Kraft – eine Einführung in die Sturzprävention“ als frei einsehbare pdf-Datei an.
Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP): Expertenstandard Sturzprophylaxe in der Pflege