Ulla Schaffrath
GesundheitsberaterinSpazierengehen für mehr gesunde Bewegung im Tagesablauf
Wir spüren es am eigenen Körper und bekommen es sogar offiziell bestätigt: Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO bewegen wir uns zu wenig. Gerade die letzten Monate mit all ihren Einschränkungen auf Grund des Wetters haben ganz besonders zu einer Reduzierung unserer täglichen Bewegung beigetragen. Die negativen Folgen dieses ungewollten Verhaltens spüren wir: Wir fühlen die sprichwörtliche Last auf den Schultern und sind im wahrsten Sinne des Wortes bedrückt.
Jetzt ist genau der richtige Zeitpunkt, um (wieder) in Bewegung zu kommen, draußen an der frischen Luft neue Kraft sowie gute Laune zu tanken und ganz nebenbei etwas spürbar Gutes für unsere Gesundheit zu tun.
Flanieren, sich die Füße vertreten, frische Luft schnappen – Bezeichnungen für das Spazierengehen die vielen von uns seit Kindestagen geläufig sind. Wahrscheinlich sind bei vielen von uns auf Grund unserer Kindheitserfahrungen – erzwungene „Sonntagsspaziergänge“ mit den Eltern (Jippieh) – diese auch nicht nur positiv belegt 😊 Umso interessanter ist also die Beobachtung, dass sich Spazierengehen in den letzten Jahren durchaus zum Lifestyle-Trend entwickelt hat.
Zu Fuß gehen ohne ein bestimmtes Ziel? Einfach so vor sich hinschlendern, so wie „Rentner:innen“ es tun? Da gibt es doch bestimmt Besseres, wie z.B. auf Social Media rumhängen oder Netflix-Serien schauen?
Es ist bewiesen, dass Menschen, die regelmäßig gehen, länger leben sowie glücklicher und kreativer sind …
Jetzt geht’s los: Raus vor die Tür und go!
Spazierengehen kann dem Körper viel Gutes und sogar richtige Trainingseffekte bringen, je nachdem wie intensiv es betrieben wird.
Wer regelmäßig spazieren geht:
- Stärkt seine Muskeln
- Fördert seinen Gleichgewichtssinn
- Stabilisiert seine Gelenke und macht sie beweglicher, dies lindert zudem Gelenk- und Rückenschmerzen
- Reduziert das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen
- Stärkt sein Immunsystem
- Verringert das Diabetes-Risiko
- Regt die Freisetzung von Glückshormonen an
- Lindert Stress und Müdigkeit
- Regt seinen Stoffwechsel an, dies hilft beim Abnehmen
- Als kleine „Zugabe“ wird zusätzlich der nächtliche Schlaf verbessert
Spazierengehen ist einfach: Es ist kein besonders Equipment wie teure Laufschuhe oder Funktionskleidung und auch keine Schutzausrüstung notwendig.
Und jeder kann es – im Vergleich zu anspruchsvollen Sportarten wie Schwimmen, Radfahren, Inline-Skaten oder Skifahren haben wir alle im frühesten Kindesalter Gehen und Laufen gelernt, ganz ohne spezielle technische Unterweisung. 😊
Was bringt uns der Aufenthalt an der frischen Luft zusätzlich? Wenn wir im Freien unterwegs sind, kommen wir in Einklang mit der Natur. Dies funktioniert nicht über den Verstand, sondern über das Sinnliche: Wir spüren Sonne und Wind auf der Haut, riechen – gerade im Frühling – die unterschiedlichsten Düfte der Bäume sowie Blumen und hören, je nachdem wo wir gehen, alle möglichen Geräusche. Gerade wenn wir aus der Eintönigkeit der eigenen vier Wände kommen, heben bereits 5 Minuten in der Natur merklich Stimmung und Selbstwertgefühl.
Der Grund? Treten wir in Kontakt mit der Natur, hören wir auf, kräftezehrend unsere Aufmerksamkeit auf bestimmte Dinge zu richten und lassen stattdessen unsere Gedanken schweifen. Dafür benötigen wir weniger Energie und so erholen wir uns schnell von geistiger Ermüdung.
Spannend dabei: Je grüner die Umgebung, desto entspannter werden wir. Studien zeigen, dass der Aufenthalt in einer grünen Umgebung mit einer geringeren Aktivität in der Hirnregion korreliert, die für negative Gefühle, Grübeln und Depressionen verantwortlich ist. Wer also regelmäßig im Grünen spazierengeht, der tut auch etwas für seine mentale Gesundheit.
Sobald wir unser Haus verlassen, sehen wir zudem andere Menschen. Das bedeutet Abwechslung und soziale Interaktion. Wir werden wieder Teil des spannenden öffentlichen Lebens. Das ist gerade jetzt zusätzlich wohltuend.
So geht’s: Wie „weit“ müssen wir denn gehen um fit zu bleiben?
Müssen wir uns ein bestimmtes Schritt- oder Kilometerziel vornehmen? Wahrscheinlich gilt, so viel wie möglich – aber was ist so viel wie nötig?
Die meisten werden intuitiv sagen: 10.000 Schritte. Das ist die bekannteste Zahl – doch woher kommt sie eigentlich?
Tatsächlich stammt diese Zahl aus der Werbung. Als die Firma Yamasa 1964 den ersten Schrittzähler auf den Markt brachte, definierten sie 10.000 Schritte als gesund – als reine eigene Einschätzung.
Schrittzahl und Gehzeit allein reichen noch nicht aus, unsere Aktivität zu beschreiben. Es fehlt die Intensität: Eine halbe Stunde Joggen hat einen anderen Effekt als ein langer Spaziergang, auch wenn dieser dieselbe Schrittzahl ergibt.
Sehr passend finde ich persönlich die Idee „3.000 Schritte mehr am Tag“ des Zentrums für Gesundheit der Deutschen Sporthochschule Köln. Laut ihrer Studie senken bereits 3.000 Schritte mehr pro Tag signifikant den Cholesterinspiegel. (Hier findest du eine Kurzzusammenfassung der Studienergebnisse.) Auch wenn es eigentlich kein neues Konzept ist, so stellt es doch einen optimalen Ansatz für mehr Bewegung im Alltag dar.
Denn so haben auch Untrainierte genauso einen Trainingseffekt wie Menschen, die bereits regelmäßig spazieren gehen.
Geht’s dir gut?: Worauf sollten wir beim Spazierengehen achten?
Ob ruhig und gemächlich oder schnell und sportlich, ob allein oder plaudernd in Begleitung – alles ist grundsätzlich richtig. Du solltest deine Bewegung so gestalten, dass deine Motivation hoch bleibt.
Gerade am Anfang gilt: Nicht übertreiben, sondern langsam starten.
Wir brauchen auch keinen Schrittzähler – mit der Faustformel „Für 1.000 Schritte brauchen wir ungefähr 10 Minuten“ lässt sich unsere Bewegung recht gut erfassen.
Wichtiger ist es, beim Gehen auf die Körpersignale zu achten. Wenn der Spaziergang einen Trainingseffekt für Herz, Kreislauf und Lunge haben soll, so sollten wir so gehen, dass wir eine leichte Erhöhung der Atemfrequenz und der Herzfrequenz spüren.
Will man noch stärker und bewusster gehen, zählt auch die richtige Atmung: Vier Schritte lang einatmen, dann vier Schritte ausatmen. Diesen langsamen und gleichmäßigen Rhythmus solltest du für große Teile des Weges beibehalten, bergauf z.B. kannst du ihn dann auf 3:3 verkürzen.
Abwechslung
Abwechslung kann schön sein. Runden durch das Wohnquartier, durch den Wald oder die Felder, oder durch das Neubaugebiet, am Flussufer entlang, bergauf und bergab: alle Strecken haben ihre Reize.
Um etwas Neues zu entdecken: Unbekannte Punkte in der Stadt oder dem Umland suchen und dort einfach mal die Gegend erkunden.
Die Geschwindigkeit mit der wir uns bewegen bedingt auch unsere Wahrnehmung der Umgebung. Gehen wir schnell, so wird das Bild um uns herum etwas oberflächlicher und ärmer, die Szenen wechseln schneller. Gehen wir dagegen langsamer, nehmen wir viel mehr von allem um uns herum wahr: Die dicke Taube auf dem Zaun oder den wunderschönen Halsbandsittich im Baum.
Unterstützung durch Musik oder Hörbücher?
Ich empfehle, regelmäßig ohne Ablenkung über die Ohren unterwegs zu sein, um den Kopf wirklich frei zu bekommen. Aber natürlich bietet ein Spaziergang auch hervorragende Möglichkeiten für ein längeres Telefonat mit Freunden oder der Familie, so können wir unsere gute Laune sogar noch teilen.
Genauso kann die Zeit aber auch zum Lernen genutzt werden. Ein Podcast, die Aufzeichnung eines Webinars, ein Hörbuch – alles Wege, um den freiwerdenden Kopf wieder mit neuen Informationen zu füllen.
Spazierengehen und Arbeit
Beim Spazierengehen geht es aber nicht nur um die körperliche Gesundheit: Es gibt auch eine Reihe von mentalen und emotionalen Vorteilen. So werden z.B. neue Verknüpfungen im Hirn gebildet, die altersbedingtem Verkümmern vorbeugen und die kognitive Leistungsfähigkeit erhöhen. Wir kommen also auf neue Ideen, können besser lernen und verringern zudem eventuell vorhandene Ängste.
Ein neuer Trend ist der Walk and Talk, also die gezielte Verabredung zur geschäftlichen Besprechung in Bewegung. Das Schönste daran: Der Verzicht auf PowerPoint-Präsentationen! Zudem werden hierarchische Strukturen abgebaut.
Geht’s schon?: Noch mehr Gründe für den Einstieg ins Gehen
Sport- und Gesundheitswissenschaftler der Universität von Exeter haben im Rahmen einer Studie 2012 herausgefunden, dass ein 15 Minuten dauernder Spaziergang die Lust auf Schokolade, auch bekannt als “Stressfuttern”, minimiert. Durch einfaches Gehen kann man somit Gewicht verlieren, nicht nur durch das Verbrennen von Kalorien, sondern durch eine Verringerung des Appetits.
Gehen reduziert Schmerzen in den Gelenken, es verbessert unsere Abwehrkräfte und hilft sogar dabei, die Wahrscheinlichkeit einer Brustkrebserkrankung zu minimieren. Es ist überdies erwiesen, dass Menschen, die regelmäßig gehen, länger leben und glücklicher sind, da sich die Bewegung in Kombination mit Tageslicht positiv auf z.B. die Bekämpfung von Depressionen auswirkt.
Wer hat’s erfunden?
Vor etwa sechs Millionen Jahren sind unsere Vorfahren aus der Vierfüßler Position in eine aufrechte Körperhaltung „aufgestiegen”. Dadurch hatten sie nun ihre Hände frei für andere, bahnbrechende Tätigkeiten: Werkzeuge wurden gebaut, sie konnten auf Dinge zeigen, gestikulieren und vieles mehr.
Eine Schattenseite der Tatsache, dass unsere Wirbelsäule eigentlich für ein Leben auf vier Füßen konzipiert ist, ist dass wir durch das aufrechte Gehen Probleme wie Plattfüße, geschwollene Füße, Blasen, Ballen- und Hammerzehen bekommen. Aber sind das nicht Nachteile, die wir gerne für die Vorteile des Gehens in Kauf nehmen?
Wer geht und wer geht gar nicht?: Prominente Vorbilder
Mahatma Ghandi zum Beispiel ist sein ganzes Leben lang gegangen und hat seine Vitalität genau dieser Tatsache zugeschrieben. Charles Dickens ist, während er „Eine Weihnachtsgeschichte“ geschrieben hat, täglich 25 – 30 km durch London gegangen. Beethoven ist durch den Wienerwald spaziert, um Inspiration für seine Kompositionen zu finden und Friedrich Nietzsche wanderte durch die Schweizer Alpen auf der Suche nach dem Sinn des Lebens.
Was sagt die WHO zum Bewegungsmangel?
Die WHO empfiehlt uns Erwachsenen mindestens 2,5 bis 5 Stunden moderate körperliche Aktivität pro Woche. Rein rechnerisch ergibt das mindestens 21 Minuten pro Tag – eigentlich doch gar nicht so viel, oder?
Aktuelle Ergebnisse zeigen aber, dass sich mehr als 25% der Erwachsenen und sogar 80% der Jugendlichen weniger als die empfohlene Aktivitätsmenge bewegen.
Hier findest du den aktuellen Bericht der WHO zur körperlichen Aktivität und unserem durch zu viel Stillstand geprägtem Verhalten für alle Altersgruppen – in Englisch, aber sehr detailliert und interessant.
Vielleicht haben uns die Einschränkungen in den letzten Monaten an der gesunden Bewegung gehindert, von der häufig auch mentalen Motivationslosigkeit mal ganz abgesehen. Aber jetzt gehen wir ja dagegen an.
Mir geht’s gut!: Warum ich selbst gehe
Für mich ist Gehen der perfekte Ausgleich. Manchmal gehe ich ziellos durch die Gegend. Ohne irgendwo ankommen zu wollen, einfach nur um zu gehen. Manchmal möchte ich in die Natur und ich gehe durch den Wald oder über die Felder. Meist mit meinem Hund als gutgelauntem Begleiter.
Ich halte Abstand und bin trotzdem nicht isoliert – ich kann dem Nachbarn, dem Postboten oder Fremden zuwinken und so ein paar der vielen kleinen und doch wertvollen alltäglichen Begegnungen erleben, die während der Einschränkungen noch viel bewusster und wichtiger wurden.
Deshalb kann ich die Frage „Wie geht’s?” trotz allem mit einem überzeugten „Gut!” beantworten 🙂