
Dirk Hein
Bachelor of science physiotherapy, staatl. anerkannter HeilpraktikerWarum diese Frage wichtig ist
Wir sehen in der Praxis täglich: Viele Menschen zwischen 30 und 80 Jahren nehmen dauerhaft Medikamente – oft völlig zurecht. Gleichzeitig häufen sich diffuse Beschwerden wie Müdigkeit, Krämpfe oder zunehmende Unsicherheit, ob „noch alles Nötige ankommt“.
Wir möchten dir eine klare, sachliche Orientierung geben: Wo gibt es gute Gründe für gezielte Mikronährstoffergänzung? Wo reicht Ernährung? Und wo ist Zurückhaltung angesagt, weil Interaktionen drohen?
Dieser Artikel ersetzt keine ärztliche Diagnose, hilft dir aber, fundiert mitzusprechen und mit uns eine sinnvolle Strategie zu entwickeln.
Was Mikronährstoffe sind – und was sie nicht sind
Mit „Mikronährstoffen“ meinen wir Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente sowie ausgewählte Co-Faktoren (z. B. Coenzym Q10). Sie liefern keine Energie wie Kohlenhydrate, Fette oder Eiweiß – sie ermöglichen, dass Stoffwechselprozesse überhaupt rund laufen.
Ergänzungen sind kein Ersatz für eine ausgewogene Ernährung; sie sind Werkzeuge. Gut eingesetzt, schließen sie Lücken. Schlecht eingesetzt, bewirken sie wenig – oder stören sogar.
Unser Maßstab ist daher: Bedarf, Evidenz, Sicherheit.
Wie Arzneimittel den Nährstoffhaushalt beeinflussen (Mechanismen)
Arzneimittel können Nährstoffe auf vier Wegen beeinflussen:
- Aufnahme hemmen: z. B. verringerte Resorption im Darm.
- Verbrauch/Abbau erhöhen: veränderte Enzymaktivität steigert Bedarf.
- Ausscheidung erhöhen: mehr Verlust über Niere oder Darm.
- Funktion stören: Nährstoff ist vorhanden, kann aber nicht wirken.
Wichtig: Nicht jede Einnahme führt automatisch zu einem Defizit. Es geht um Dosis, Dauer, individuelle Faktoren und Wechselwirkungen mit Ernährung und Lebensstil.
Typische Wirkstoffgruppen & mögliche Nährstoffengpässe
Protonenpumpenhemmer (PPI) – B12 & Magnesium im Blick
PPI senken die Magensäure. Das entlastet die Speiseröhre, kann aber langfristig die Aufnahme von Vitamin B12 beeinträchtigen und mit niedrigen Magnesiumspiegeln verbunden sein.
Das ist in Beobachtungsdaten und Sicherheitsmitteilungen beschrieben; das individuelle Risiko hängt von Dosis und Dauer ab.
Metformin – häufig mit niedrigem Vitamin B12 verknüpft
Bei Metformin (Diabetesmedikation) gilt ein erniedrigter Vitamin-B12-Spiegel inzwischen als „häufige“ Nebenwirkung, insbesondere bei hoher Dosis oder langer Einnahme.
Bei entsprechenden Symptomen (z. B. Kribbeln, Müdigkeit) empfehlen Behörden, den B12-Status zu prüfen.
Diuretika – Elektrolyte nicht vergessen
Schleifen- und Thiaziddiuretika können die renale Ausscheidung von Kalium und Magnesium steigern.
Das ist therapeutisch oft beabsichtigt, verlangt aber Aufmerksamkeit für Muskelkrämpfe, Herzrhythmus und Laborwerte. Kaliumsparende Diuretika wirken gegenteilig.
Fettbindende Wirkstoffe & Gallensäurebinder – fettlösliche Vitamine
Orlistat (Lipasehemmer) und Cholestyramin (Gallensäurebinder) können die Aufnahme fettlöslicher Vitamine (A, D, E, K) und Beta-Carotin senken.
Deshalb ist eine zeitversetzte Multivitamin-Gabe Standardempfehlung.
Antiepileptika – Knochenstoffwechsel & Vitamin D
Enzyminduzierende Antiepileptika (z. B. Phenytoin, Carbamazepin) beeinflussen den Vitamin-D-Stoffwechsel; über die Jahre steigt das Risiko für Knochendichteverluste.
Hier lohnt sich strukturierte Kontrolle und eine bedarfsgerechte D- und Calciumstrategie.
Statine – Coenzym Q10: umstritten, aber relevant
Statine senken LDL – großartig für Herzschutz. Gleichzeitig sinken oft die CoQ10-Spiegel; der Nutzen einer Ergänzung bei Muskelsymptomen ist wissenschaftlich uneinheitlich: Es gibt Metaanalysen mit gemischten Ergebnissen.
Wir werten CoQ10 daher als „Option bei Beschwerden, nach Rücksprache“.
Glukokortikoide – Knochen schützen
Längerfristige Steroidtherapie reduziert Calciumaufnahme und begünstigt Knochenverlust.
Vitamin D und Calcium sind hier Pfeiler der Prävention; die Dosis gehört medizinisch gesteuert.
Für wen Ergänzungen sinnvoll sein können (Checkliste)
Wir arbeiten in der Praxis gern mit einer kurzen Abfrage. Ergänzung kann sinnvoll sein, wenn du eine dieser Situationen kennst:
- Langzeit-PPI (Monate/Jahre) plus Müdigkeit, Kribbeln, Vergesslichkeit → B12 checken; ggf. Magnesium prüfen.
- Metformin über lange Zeit + neurologische Symptome → B12 messen; Ergänzung erwägen.
- Schleifen-/Thiaziddiuretika + Krämpfe/Herzstolpern → Kalium/Magnesium kontrollieren.
- Orlistat/Cholestyramin → Multivitamin mit ADEK zeitversetzt.
- Antiepileptika → 25-OH-Vitamin-D und Knochendichte im Blick.
- Langzeit-Steroidtherapie → Calcium/Vitamin-D-Strategie abgestimmt planen.
Laborwerte & Monitoring: sinnvoll messen, sinnvoll handeln
Wir raten zu „so viel wie nötig, so wenig wie möglich“. Typische Marker:
- Vitamin B12 (ggf. Holotranscobalamin)
- 25-OH-Vitamin D
- Ferritin (bei Müdigkeit)
- Magnesium, Kalium (bei Diuretika/PPI)
- TSH/T4 (bei Schilddrüsenhormonen; Interaktions-Timing beachten)
Messintervalle hängen von Medikation, Symptomen und Jahreszeit ab. Ein Laborwert ist immer Kontext – nicht nur eine Zahl.
Richtig ergänzen: Dosierungen, Timing, Interaktionen
Timing ist oft der halbe Erfolg
Manche Wechselwirkungen minimierst du über Abstand:
- Levothyroxin: Abstand zu Calcium-/Eisenpräparaten mind. 4 Std.; nüchtern einnehmen.
- Tetrazykline/Fluorchinolone: Abstand zu Mineralstoffen (Ca/Mg/Fe/Zn), sonst Chelat-Bildung und schlechtere Aufnahme.
- Orlistat/Cholestyramin: Multivitamin zeitversetzt (2–4 Std.).
Vitamin K & Gerinnungshemmer: Konstanz statt Chaos
Bei Warfarin/Phenprocoumon ist nicht das Vitamin K per se „verboten“, sondern die starken Schwankungen. Halte die Zufuhr stabil und kläre Ergänzungen immer ärztlich ab.
CoQ10 bei Statinen: individuelle Entscheidung
Bei statinassoziierten Muskelsymptomen kann ein Therapieversuch mit CoQ10 diskutiert werden. Wir entscheiden das mit dir anhand von Beschwerden, Alternativen und Interaktionen. Die Evidenz ist gemischt – deshalb kein Automatismus.
Qualität & Sicherheit von Präparaten
Wir achten auf:
- Deklaration & Dosiergenauigkeit: klare mg/µg-Angaben, Chargennummer.
- Seriöse Siegel: z. B. geprüfte Qualität, frei von unnötigen Zusätzen.
- Bioverfügbarkeit: sinnvolle Formen (z. B. Magnesiumcitrat/-bisglycinat; Methylcobalamin/Hydroxocobalamin für B12 je nach Situation).
- Sicherheit: obere Aufnahmemengen (UL) beachten – insbesondere bei fettlöslichen Vitaminen A, D, E, K.
- Wechselwirkungen: Arzneimittel-Risiko immer zuerst prüfen (z. B. ACE-Hemmer + Kaliumpräparate → Hyperkaliämie-Risiko).
Ernährung zuerst: kluge Quellen im Alltag
Auch bei Ergänzungen bleibt Ernährung die Basis:
- Vitamin B12: tierische Produkte; bei vegetarischer/veganer Kost Ergänzung oft notwendig – besonders unter Metformin.
- Magnesium: Nüsse, Samen, Vollkorn, grüne Gemüse.
- Kalium: Hülsenfrüchte, Kartoffeln, Gemüse/Obst – unter Diuretika sinnvoll, bei ACE-Hemmer/ARB aber Vorsicht mit Zusatzpräparaten.
- Vitamin D: Sonnenlicht + Nahrung (fettreicher Fisch); in unseren Breitengraden im Winter häufig niedrige Spiegel.
5-Schritte-Fahrplan (mit Beispiel)
Schritt 1: Medikamenten-Inventur
Liste alle Präparate inklusive Selbstmedikation auf (Dosis, Dauer, Uhrzeit). So sehen wir mögliche Nährstoffpfade und Interaktionen – vom PPI bis zum Eisenpräparat.
Schritt 2: Beschwerden & Ziele klären
Was fällt dir auf? Krämpfe, Erschöpfung, Konzentration, Haut/Haar, Schlaf? Ziele definieren: „krampffrei“, „weniger Müdigkeit“, „bessere Verdauung“.
Schritt 3: Basislabor auswählen
Gezielt statt Gießkanne: B12 (± Holo-TC), 25-OH-D, Magnesium, Kalium, ggf. Ferritin. Bei Statinen: CK nur, wenn Beschwerden; bei Risikokonstellationen differenziert.
Schritt 4: Ergänzungsplan entwerfen
Auf Basis von Daten: B12 bei Metformin-Langzeit und niedrigen Werten; Magnesium/Kalium bei diuretischer Therapie mit Verlusten; ADEK zeitversetzt bei Orlistat/Cholestyramin; Vitamin D + Calcium bei langer Steroidtherapie; CoQ10 als individueller Versuch bei Statin-Myopathie.
Schritt 5: Timing & Kontrolle
Einnahmeabstände einhalten (siehe Abschnitt 7), nach 8–12 Wochen kontrollieren: Wie geht’s dir? Was sagen die Werte? Plan feinjustieren. Konstanz schlägt Aktionismus.
Häufige Fehler – und wie wir sie vermeiden
Tipps zur Beachtung:
- „Mehr ist besser“: Hohe Dosen ohne Bedarf bringen selten mehr Nutzen, erhöhen aber Interaktions-/Nebenwirkungsrisiko.
- Timing ignorieren: Levothyroxin mit Calcium/Multivitamin – Klassiker. Abstand einhalten.
- Ernährung vergessen: Ergänzungen sind Add-ons, keine All-in-One-Lösung.
- Warfarin & Vitamin-K-Sprünge: Konstanz wahren.
- Einseitige Labors: Nur „D-Wert“ prüfen ist zu wenig, wenn Symptome breiter sind.
- CoQ10 als Pflicht: Bei Statinen individuell entscheiden, Evidenzlage beachten.
FAQ
Sind PPI grundsätzlich „Nährstoffräuber“?
Nein. Kurzfristig sind sie oft sinnvoll. Bei Langzeiteinnahme steigt das Risiko für B12-Mangel und niedrige Magnesiumwerte – also beobachten, nicht dramatisieren.
Ich nehme Metformin – soll ich automatisch B12 ergänzen?
Nicht automatisch. B12 prüfen, Symptome ernst nehmen, dann gezielt ergänzen. Viele profitieren, wenn ein Mangel vorliegt.
Welche Magnesiumform ist „die beste“?
Es kommt auf Verträglichkeit und Ziel an. Citrat und Bisglycinat sind alltagstauglich; Oxid ist günstiger, aber schlechter bioverfügbar. Wichtiger als die Form ist oft die Regelmäßigkeit und der Zeitpunkt (z. B. abends).
Kann ich Vitamin D einfach hoch dosieren?
Bitte nicht. Erst Status kennen, dann dosieren – und auf Calcium achten. Besonders bei Steroiden sinnvoll, aber ärztlich begleitet.
Statine und Muskelschmerzen – hilft CoQ10 sicher?
Die Daten sind gemischt. Wir besprechen mit dir einen zeitlich begrenzten Versuch, wenn die Beschwerden passen – und prüfen Alternativen.
Ich nehme Levothyroxin. Darf ich Multivitamin dazu?
Ja, mit Abstand: mind. 4 Stunden zu Calcium/Eisen & Co. Idealerweise L-T4 morgens nüchtern, Supplement später.
Antibiotika und Mineralstoffe – was beachten?
Tetrazykline/Fluorchinolone binden an Mineralien (Ca/Mg/Fe/Zn) – Abstand halten, sonst sinkt die Wirksamkeit.
ACE-Hemmer und Kalium?
Zusätzliches Kalium (Präparate/Salzersatz) kann Kalium zu stark erhöhen. Deshalb hier besondere Vorsicht und Laborbegleitung.
Fazit
Unsere Erfahrung: Mikronährstoffergänzung bei starkem Arzneimittelgebrauch ist weder Hexenwerk noch Automatismus. Sie wird dann sinnvoll, wenn drei Punkte erfüllt sind:
- nachvollziehbarer Mechanismus oder Risiko,
- passende Symptome oder Laborbefund,
- sichere Umsetzung ohne relevante Interaktionen.
Mit dieser Haltung bleibt das Ganze pragmatisch: Wir schützen das, was Medikamente leisten sollen – und stärken gleichzeitig deinen Nährstoffhaushalt.
So entsteht ein Plan, der zu dir, deinem Alltag und deiner Medikation passt.
Dein nächster Schritt
Möchtest du deinen Nährstoffstatus und deine Medikamente professionell gemeinsam betrachten – inklusive sinnvoller Laborauswahl und einer maßgeschneiderten Ergänzungsstrategie?